Mit dem Wind der Veränderung durch den Herbst

Da ist sie wieder, die Weihnachtsdekoration. Wie jedes Jahr verstört mich der erste Anblick der bunten Kugeln. Gerade in einem Jahr, indem der Sommer kaum einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Aber der Blick in die Natur lässt keine Zweifel offen. Der Herbst ist da. Die Blätter verfärben sich und fallen zu Boden. Hier in meiner zweiten Heimat in Spanien sammeln sich die Vögel lautstark, um weiter Richtung Süden zu ziehen. In den Pinien hört es sich zeitweilig an, wie in einer riesengroßen Markthalle.

Gleichzeitig ziehen die Herbststürme auf. Alles um mich herum wird unruhiger, fahrig und manchmal fast etwas unwirklich. In kaum einer Jahreszeit spürt man den Kreislauf des Lebens so deutlich, wie im Übergang vom Sommer in den Herbst. Die Natur ist im Wandel, sie lässt los und bereitet sich auf die winterliche Ruhe vor, nach der wieder Neues entstehen darf.

Umbrüche lösen in uns oft ein Unbehagen aus. Schade eigentlich. Wenn wir klammern und nichts gehen lassen, kann auch nichts Neues entstehen. Also auch keine Weiterentwicklung. Eigentlich wissen wir das, und tun uns doch schwer damit.

Der Herbst hat natürlich auch seine guten Zeiten. Es ist meine Lieblingsjahreszeit, der Sommer ist mir manchmal einfach zu laut. Endlich kann man sich mit einer Tasse Tee und einem Buch aufs Sofa zurückziehen und eine Kerze anzünden. Die Gemütlichkeit darf wieder mehr Raum einnehmen und die Welt wird leiser.

Die Realität sieht aber oft ganz anders aus: Wenn die langen Sommerferien vorbei sind, der Alltag wieder zunehmend hektischer wird und der Weihnachtsschmuck schon ein wenig an die Jahresabschlüsse denken lässt, kann das die innere Ruhe empfindlich strapazieren.

Ich durfte für mich lernen, gerade in dieser Jahreszeit gut nach innen zu schauen und mit meinen Energien sehr sorgsam umzugehen. Tue ich das nicht, bin ich spätestens an Weihnachten krank. Kommt das jemandem bekannt vor? Die gute Nachricht: Mit Yoga und Ayurveda haben wir wunderbare Hilfsmittel, um einigermaßen unbeschadet durch diese wirbelige Zeit zu kommen.

In der indischen Philosophie verkörpern Brahma, Vishnu und Shiva den Kreislauf des Lebens. Brahma steht für das Entstehen und damit für den Frühling, Vishnu für das Erhalten und den Sommer und Shiva für die Zerstörung und den Winter. Und der Herbst? Aus ayurvedischer Sicht gibt es drei Jahreszeiten; die Vormonsunzeit, die Monsunzeit und die Trockenzeit. Wie passt das nun auf unsere vier Jahreszeiten?

Wir sind ein Teil der Natur und indem wir gut hinschauen, was die Natur um uns herum macht, können wir viel über die biologischen Regelkräfte in uns und um uns herum erfahren. Heißes Wetter im Sommer bedeutet Pitta-Zeit. Wenn es im Herbst und frühen Winter kalt, trocken und windig wird, dann herrscht Vata vor. Im späten Winter und im Frühling, wenn es sich feucht, kalt, matschig und träge anfühlt, liegt Kapha-Energie in der Luft.

Der Übergang vom Sommer in den Herbst, indem wir uns gerade befinden, ist für viele Menschen anstrengend. Wenn es dunkler, kühler und windiger wird, ist das an sich schon wenig erfreulich. Für alle, die aufgrund ihrer Grundkonstitution viel Vata in sich tragen schon gar nicht. Man fühlt sich oft unruhig, unausgeglichen und zerfahren und versucht sich vielleicht den Sommer zurückzuholen, indem man nochmals für kurze Zeit in den Süden entflieht. Für alle, die gerade davon träumen, mag es vielleicht ein kleiner Trost sein, dass der Herbst auch im Süden ankommt, oft noch sehr viel spürbarer, vielleicht gerade, weil man ihn noch verdrängt.

Das Vata-Dosha ist unser Antrieb, es steht für jede Bewegung in unserem Leben. Gleichzeitig ist es aber auch oft beteiligt, wenn uns etwas aus dem Gleichgewicht bringt. Das Vata-Dosha ist feinstofflicher und durchdringender als die anderen Doshas und entfaltet eine große Kraft. In unserem Körper gehören Dickdarm, Becken, untere Extremitäten, Hüftbereich, Nervensystem und auch die Ohren zum Vata-Dosha. Man ist in dieser Zeit deshalb auch oft empfindlicher für Geräusche und alles wird rasch zuviel.

Mich trifft dieser Wirbelsturm jeden Herbst mit voller Wucht und ich habe jahrelang geübt, an Weihnachten nicht mehr krank zu sein. Um es vorweg zu nehmen: es gibt keine pauschalen Empfehlungen, gerade aus ayurvedischer Sicht nicht. Ayurvedische Medizin ist ja - wenn man so will - der Vorläufer der personalisierten Medizin.

Das beginnt bei der Bestimmung des eigenen Doshas. Es schwirren Unmengen dieser Zuordnungstests herum und die sind sicherlich alle ganz gut, wenn man weiß damit umzugehen. Bekanntlich sehen wir uns aber gerne, wie wir uns sehen wollen. Ich war beispielsweise jahrelang davon überzeugt, überwiegend ein Pitta-Typ zu sein. Äußerlich mag das zutreffen und vieles, was dem Pitta-Dosha zugeschrieben wird, hat mir auch total gut gefallen; Intelligenz, Mut, Durchhaltevermögen, so möchte man sein.

Zwei heftige Vata-Dysbalancen, die sich unter anderem in Schlaflosigkeit, innerer Unruhe und völliger Unkonzentriertheit äußerten, bewogen mich dann aber in den letzten Jahren, mir bei Ayurveda-Ärztinnen Rat zu holen. Überraschung: Aus Pitta wurde Vata-Pitta (mit Vata-Dominanz). Mit Vata wollte mein im Leistungsdenken verhaftetes Ich eigentlich nichts zu tun haben. Viel zu unruhig, schwächlich und unausgeglichen. Dass dort auch die Kreativität verborgen sein könnte, habe ich in meinem Selbstbild damals geflissentlich ignoriert. Aber man darf ja lernen, auch die schonungslose Ehrlichkeit mit sich selbst.

In der Ayurveda-Welt darf und muss man über die eigenen festgefahrenen Konzepte hinausdenken und vor allem genau hinschauen. Jeder Mensch ist einzigartig, das dürfen wir im Anusara-Yoga wie auch im Ayurveda lernen. Dennoch gibt es Ansätze, die meistens helfen, durch den Wind der Veränderung zu segeln. Man muss sie allenfalls für sich anpassen und herausfinden, wo für einen selbst Unruhe drin ist und wo es Erdung und Wärme braucht.

Die nun folgenden 5 Punkte für einen sanften Übergang in die Vata-Zeit sind wenig überraschend.

Es ist in etwa wie mit der mediterranen Ernährung. Die größte Wirkung haben meistens die einfachen Dinge.

Da ist schon genug Wind. Der Herbst ist eine schöne Gelegenheit, mit dem eigenen Terminkalender sehr knauserig zu werden. Muss ich da wirklich hin? Oder: ist es wirklich nötig, fünf Bücher parallel zu lesen? Mir hilft das immer sehr, mich in dieser Zeit auf eine Sache (oder eben ein Buch) zu konzentrieren. Das hört sich jetzt unspektakulär an, hilft mir aber, mich nicht zu verpuzzeln.

2. Langsamer werden

Kurmasana hilft. Einfach ein bisschen mehr Schildkröte sein im Alltag und wenn schon, dann ganz in Ruhe nervös werden. Die Dinge werden einfach nicht besser, nur weil sie schnell gemacht werden und die To-Do-Liste wird ohnehin nicht leer.

3. Genügend schlafen

Und idealerweise immer zur selben Zeit (und früher als es die abendlichen Gewohnheiten oft vorsehen) ins Bett gehen. Der Körper merkt sich das. Persönlich mag ich diese Empfehlung sehr. Endlich ohne schlechtes Gewissen vor zehn Uhr ins Bett gehen. Im Sommer kann man das ja niemandem erklären.

4. Die eigenen Gewohnheiten überdenken.

Jetzt geht es darum, uns zu nähren und zu erden. Tut mir das Intervallfasten auch in dieser Jahreszeit gut? Welches Training brauche ich jetzt? Wie fühle ich mich nach einer intensiven Ausdauer-Einheit? Wirklich gut? Oder wäre Kraftaufbau auch eine Idee? Welche Yogasequenz tut mir jetzt gut? Meistens sind das wärmende und erdende Sequenzen mit vielen Steh- und Drehhaltungen und Vorbeugen.

5. Vergleiche und Erwartungen machen unglücklich

Das gilt natürlich das ganze Jahr über. Aber wenn der Geist ohnehin schon zappelig ist, dann ist es wenig hilfreich, ständig zu schauen, ob andere es besser machen als wir. Bei sich bleiben und weitermachen.

Viel Freude beim Hinschauen. Lasst uns genährt und geerdet durch den Herbst segeln!

Marion Völger

www.silentmoves.blog

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