Nicht Fasten ist auch keine Lösung
Endlich ist er da, der Frühling! Die ersten Sonnenstrahlen wärmen das Gesicht, das muntere Vogelgezwitscher macht gute Laune und die Welt wird bunter und vielleicht etwas leichter. Und wenn man die Leichtigkeit denn nicht selber fühlt (persönlich finde ich es angesichts des Weltgeschehens nicht so einfach) dann wird man auf irgendeinem Kanal drauf aufmerksam gemacht, dass jetzt Fastenzeit ist und man Ballast abwerfen sollte.
Mir scheint, man muss sich heute - je nachdem, in welcher Welt man sich gerade bewegt - schon fast dafür entschuldigen, wenn man im Frühling nicht fastet. Wer das Gefühl des Fastenhochs kennt und schätzt und sich nach dem Fasten geistig und körperlich lange Zeit wie neu geboren fühlt, den beneide ich. Ehrlich. Gesundheitlich ist die Sache weitgehend unbestritten. Weitgehend.
Der Ayurveda sieht das sehr differenziert. Mal abgesehen davon, dass eine nächtliche Fastenzeit von 12 Stunden ohnehin zur ayurvedischen Lebensweise gehört, wird das Fasten an die jeweiligen Konstitutionstypen (Vata, Pitta, Kapha) angepasst. Strenge Fastenkuren sind dabei eher die Ausnahme, weil es - nicht typengerecht angewendet - die Verdauungskraft eher schwächt als stärkt. Vielleicht passt das Fasten in Form von Nahrungsverzicht ja auch nicht zum eigenen Alltag, zum eigenen Körper oder es ist mit Blick auf die eigene Ernährungsbiographie einfach keine gute Idee. Oder es ist nicht der richtige Zeitpunkt, weil einem die Welt ohnehin schon sehr viel Energie abverlangt.
Mein persönliche Fastenbiographie ist ziemlich lang: Heilfasten, Saftfasten, Scheinfasten, Intervallfasten etc. Die Anstrengung, das Ganze irgendwie in meinem Alltag unterzubringen, war jeweils enorm. Es war ein großartiges Gefühl, wenn ich es geschafft hatte und es tat im Moment auch gut, zweifellos. Nur war der Preis hoch und stand in keinem Verhältnis zur vorübergehenden Klarheit und Euphorie, die einem der Nahrungsentzug nach einigen Tagen meistens beschert.
Und das Pendel schlug immer zurück. Irgendwann nach der Fastenzeit, manchmal auch erst Wochen später, holte ich alles nach und dies über einen deutlich längeren Zeitraum, als ich gefastet hatte. Ich habe Jahre gebraucht, mir einzugestehen, dass Fasten aus verschiedenen Gründen - und dabei ist meine Vata-Konstitution nur einer - für mich ein unnötiger Aufreger ist.
Für alle, denen es auch so geht, habe ich hier einen alternativen Vorschlag (oder einen ergänzenden, wenn ihr mit dem Fasten super klarkommt)
Um sich ein persönliches saftfreies Konzept zu überlegen, kann man sich auch mal die Ziele des Fastens genauer anschauen. Stellvertretend für viele Fastenrichtungen seien hier die wichtigsten Ziele einer ayurvedischen Fastenkur erwähnt: Auf physischer Ebene soll das Verdauungsfeuer (Agni) gestärkt und der Zellstoffwechsel angekurbelt werden. Auf der mentalen Ebene ermöglicht das Fasten unter anderem tiefe Selbsterkenntnisse und Ablösungsprozesse von alten Mustern und Abhängigkeiten.
Beim letzten Punkt wird es jetzt richtig interessant. Meine Privattheorie (für die es sicher eine Studie gibt) ist ja, dass gerade wir Yogalehrerinnen und Yogalehrer uns ganz gerne mit unserem Körper identifizieren. Jedenfalls ist mir noch niemand begegnet, der mir glaubhaft etwas anderes versichern konnte. Konzentrieren wir uns mehr auf die Energielenkung, als auf das Äußere der Asanas, ist das schon einmal ein guter Schritt und die Ausrichtungsprinzipien im Anusara sind hier ausgezeichnete Lehrerinnen. Aber vielleicht wäre es eine gute Idee, viel weiter vorne anzusetzen.
Der Frühling lädt uns ein, alte Lasten abzuwerfen und uns zu erneuern. Will man eine nachhaltige Basis für Erneuerung und Wachstum schaffen, kann man sich auch einmal überlegen, einen anderen Teil der eigenen Wohnung auszumisten: die Gewohnheiten. Dort liegt ja oft auch die Ursache begraben, weshalb wir meinen, uns mit einer Fastenkur unbedingt einen Neuanfang verordnen zu müssen. Und wenn wir noch etwas tiefer graben, geht dies oft mit der Einsicht einher, dass wir uns mehr mit unserem Körper identifizieren, als wir das nach der Lektüre diverser Yogischer Schriften und gefühlt kurz vor der Erleuchtung dachten. Das ist zumindest meine Erfahrung und ich freue mich für alle, die frei von diesen Irrungen und Wirrungen sind.
Kleine Gedankenstütze: Unsere Gedanken werden unsere Handlungen und unsere Handlungen werden unsere Gewohnheiten, unsere Gewohnheiten prägen unsere Haltung und diese beeinflusst unser Schicksal. Letztlich sind wir doch eher das, was wir täglich tun, wir sind nicht unser Körper. Diese Aussage kann man natürlich hinterfragen. Aber ich glaube, dass es hilfreich sein kann, unseren Körper vermehrt von innen zu betrachten und ihn wie unsere Wohnung zu sehen, die wir hegen und pflegen möchten. Betrachten wir unseren Körper wie unsere Wohnung, sind wir zweifellos freundlicher mit ihm, als wenn wir uns mit ihm identifizieren. Es ist aber nicht immer leicht, das auseinanderzudröseln.
Ich habe dies kürzlich in einem Workshop getan, und zwar mit der Hilfe der folgenden drei Fragen, die sich aus den Verhaltensempfehlungen des Yoga Sutra (Yamas und Nyamas) ableiten lassen.
1. Wie denke ich über meinen Körper? (Ahimsa, Gewaltlosigkeit)
Ich glaube nicht, dass ich hier Beispiele erwähnen muss. Morgens nackt vor den Spiegel stehen bleiben (länger, als man es eigentlich aushält) reicht wahrscheinlich. Einfach mal aufschreiben, was einem so durch den Kopf geht. Wie gewaltvoll sind die Gedanken? Wir sind zwar nicht unsere Gedanken, aber aus unseren Gedanken werden unsere Handlungen. Gewalt fängt ja immer bei einem selber an, bevor man sie gegen andere richtet. Nie haben wir weniger davon gebraucht, finde ich.
2. Bin ich bereit, meinem Körper etwas zu geben, ohne etwas von ihm zu erwarten? (Asteya, nicht stehlen)
Mal ehrlich, wie oft meinen wir, unserem Körper etwas Gutes zu tun und erwarten von ihm dann aber auch, dass er so funktioniert, wie wir es gerne hätten? Jetzt habe ich doch jeden Tag Sport gemacht, weshalb fühle ich mich denn nun nicht fit?
3. Kann ich meinen Körper annehmen, wie er gerade ist? (Satya, Wahrheit)
Was sind eigentlich die Gewohnheiten meines Körpers (nicht meine!)? Was braucht er eigentlich? Wirklich keine Kohlehydrate? Ist das die Wahrheit?
Das gewaltvolle Denken uns selbst gegenüber beschert uns oft die größten Blockaden. Es hindert uns daran, zu wachsen, weil – genau: Unsere Gedanken unsere Handlungen werden.
Die aufrichtige Beantwortung dieser drei Fragen kann deshalb ein erster Schritt sein, um unsere Identifizierung mit dem Körper etwas aufzulösen, unsere innere Kraft freizulegen und uns von innen zu öffnen. Und darum geht es: Uns von innen zu öffnen, aus der Mitte heraus. DAS lässt uns wachsen.
Dazu aber mehr im nächsten Blogbeitrag. An dieser Stelle sei abschließend eine ganz praktische Übung erwähnt, in der wir uns dieser wundersamen Öffnung annähern können: Vrksasana - der Baum.
Für den Baum bauen wir unser Fundament sorgfältig auf, indem wir die vier Eckpunkte im Fuß unseres Standbeins nach unten pressen. Danach platzieren wir die Fußsohle des freien Fußes auf dem Oberschenkel oder dem Unterschenkel. Wenden wir die Organische Energie und das damit verbundene Prinzip Root to Rise an, passiert folgendes: Die Energie wird aus dem Fokuspunkt nach unten zum Fundament des Baumes, in unsere Wurzeln, geschickt. Auf wundersame Weise teilt sich die Energie nun auf. Die Körperteile oberhalb des Fokuspunktes heben sich an und die Haltung wird von Innen geöffnet. So entsteht die Stabilität im Fundament und das Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit.
Kleiner Geheimtipp: auf einem flachen Block stehen statt auf der Matte, dann wird es noch interessanter.
Und wenn wir nun ein wenig vor uns hinwackeln, ist das genau richtig. Vrksasana lehrt uns, den Moment so anzunehmen, wie er gerade ist (oder eben unseren Körper).
Marion Völger