Wait a Moment - Meditation im Alltag

Darf ich vorstellen? Das sind Miss Bonnie (die Hündin) und WAM (die grüne Schildkröte). Das Bild ist eine Meditationsanleitung. Da man sich beim Meditieren selber beobachten, aber kein Selfie machen kann, meditiert auf dem Bild nun Miss Bonnie, die ausgesprochen charmante Dalmatiner Hündin meiner Freundin.

In der Zen-Meditation, die ich praktiziere, wird in der Regel mit halb geöffneten Augen meditiert. WAM sitzt immer in Blickdistanz vor mir (s. Meditationsanleitung). Sie ist mein Augenkissen. Meditiert man mit halb geöffneten Augen, passiert es oft, dass der Blick wenig fokussiert ist und ständig herumwandert. So wie im Alltag eben auch.

Wie das Sitzkissen eine stabile aufrechte Haltung ermöglicht, hilft ein Gegenstand, der fokussiert wird, den Blick und damit auch die Gedanken ruhig zu halten. Deshalb ist WAM mein Augenkissen. Die Meditation mit halb geöffneten Augen hilft, auch im Alltag und nicht nur auf dem Kissen präsent zu sein.

Unser Gehirn merkt sich sowas, vorausgesetzt, wir tun es regelmäßig. Die Zähne putzen wir ja auch jeden Tag. Und Meditation ist in gewisser Weise eine Reinigung des Gehirns. Seit ich mir das so zurechtgelegt habe, klappt es jeden Tag, manchmal auch nur fünf Minuten.

Schön ist ja, dass man wirklich überall meditieren kann. Früher dachte ich immer, ich bräuchte meine stille Ecke, mein Meditationskissen und vor allem keine Termine oder sonstigen Störungen am frühen Morgen, sonst könnte ich unmöglich meditieren.

Irgendwann habe ich verstanden, dass gute Gewohnheiten nur klappen, wenn sie möglichst einfach sind und meinem an sich sehr faulen Naturell entgegenkommen. Heute habe ich die genannten Ausreden deshalb auf WAM reduziert. Sie ist meine ständige Begleiterin, die mich immer wieder motiviert und mir sagt: Geduld, irgendwann wird das schon. Einfach weitermachen. Als Schildkröte steht sie für die Langsamkeit. Das passt, denn Gelassenheit und Klarheit haben ihre eigene Zeit.

Es gab eine Zeit, da habe ich unfassbar viel Krafttraining gemacht. Fast jeden Morgen war ich um spätestens 6 Uhr im Kraftraum und zog mein Programm durch, fünf Jahre lang. Weshalb?

Ich redete mir ein, dass ich sonst den Tag im Büro nicht überstehen würde. Und ganz ehrlich, es machte mir damals richtig Spaß, zumindest eine Zeit lang. Oder redete ich mir das auch nur ein?

Jedenfalls fand sich meine damalige Wahrnehmung der Wirklichkeit auch in meinem Sankalpa wieder: „Finde Stille in der Kraft“. In meinen besten Zeiten schaffte ich 15 Klimmzüge und danach war ich wirklich still. Dachte ich. Oder war es etwas ganz anderes? Meine eigene Yogapraxis von damals wie auch meine Klassen würde ich mal „kraftvoll“ nennen. Heute wäre ich mit einer meiner damaligen Stunden wohl eher überfordert.

Irgendwann kam - wenig überraschend und durchaus auch verletzungsbedingt - der schleichende Verdacht in mir auf, dass allein diese äußere Kraft wohl keine nachhaltige Geschichte sein würde und ich versuchte zu verstehen, was ich da eigentlich tat.

Ich hatte mir einen äußeren Panzer zugelegt, der mich zuverlässig davon abhielt, mich meiner eigenen Verletzlichkeit und den Fragen zu stellen, die mir Unbehagen verursachten. Bis ich zu dieser Erkenntnis gelangte, verging allerdings eine ebensolche eigene Zeit, in der ich mich auf die Suche nach meiner inneren Stärke machte.

Die Resilienz-Ratgeber Literatur half nur bedingt. Es ist am Ende des Tages immer dasselbe. Man muss das, wonach man sucht, selber fühlen (nicht nur denken).

Also machte ich mich auf die Suche nach meiner inneren Stimme, von der ich vermutete, dass sie zu meiner inneren Stärke führt oder vielleicht sogar dasselbe ist.

Ganz oft hören wir unsere innere Stimme nicht, weil es im wahrsten Sinne des Wortes einfach zu laut ist. Der Terminkalender ist so voll, dass es einfach zu viel ist. Wobei dieses „zu viel“ bei genauerer Betrachtung meist ein „zu wenig an Nichts“ ist. Wenn unsere Welt zu laut ist, hängen wir in der Regel im Denkbewusstsein fest und erzählen uns unsere Geschichten, ständig und immer wieder von Neuem.

Die innere Stimme ist aber sehr leise, in etwa so leise wie eine Schneeflocke, die ganz sanft auf eine Schneedecke fällt. Eigentlich können wir sie gar nicht hören, wir müssen sie körperlich wahrnehmen. Deshalb ist in der Meditation in einem ersten Schritt auch die Atem-Aufmerksamkeit so hilfreich. Mit der Zeit richten wir dann die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Körper, sondern fangen an, mit dem Körper aufmerksam zu sein. Das ist ein meilenweiter Unterschied.

Der Weg geht also nach innen, vom Denkbewusstsein (eigene Geschichten wiederkäuen) ins Aufmerksamkeitsbewusstsein (mit dem Körper aufmerksam sein) bis zum Gewahrsein, dem Feld des Geistes. Ich vermute mal, die innere Stimme sitzt irgendwo in diesem Feld. Was ich in jedem Falle erfahren habe ist, dass es in diesem Feld absolut still ist, so still, dass für einen kurzen Moment das Suchen aufhört. Das scheint mir die Voraussetzung zu sein, um die Schneeflocke zu hören.

Die halb geöffneten Augen sind ganz hilfreich bei diesen Bewusstseinswechseln, sie fördern ein Verweben der Außenwelt und der Innenwelt. Mit WAM klappt das für mich persönlich besonders gut. Da ich sie ohne Brille eher wie einen schlammigen Klecks ohne klare Umrisse wahrnehme (Pitta-Konstitution lässt grüßen), verwebt sich für mich schon rein visuell alles miteinander. Darüber hinaus funktionieren für mich auf dem Weg in das Gewahrseinsfeld (oder irgendwohin dazwischen) folgende Übungen ganz gut:

Die erste Übung ist wenig überraschend und auch nicht neu: Nur eine Sache auf einmal tun. Ich staune immer wieder, wie sehr ich mich konzentrieren muss, wenn ich nur für ein paar Stunden am Tag genau dies tun will. Kürzlich las ich über ein wunderbares Ritual aus den ostasiatischen Ländern, das sich für mich als sehr hilfreich erweist, mir solche kleinen Auszeiten im Alltag zu nehmen, in denen sich mein Geist von Sinnlosigkeit erholen kann: Alles mit zwei Händen tun.

Es hört sich so einfach an, aber beobachte mal, wie oft am Tag Du genau dies nicht tust. Tut man alles mit zwei Händen, so hat dies einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Beziehung zu Gegenständen und zu anderen Menschen. So sind wir zum Beispiel einem Menschen deutlich zugewandter, wenn wir etwas mit beiden Händen überreichen. Wir schenken körperlich Aufmerksamkeit.

Allein diese kleine Übung lässt uns viel ruhiger werden und wir kommen der inneren Stimme vermutlich ein Stückchen näher. Wollen wir auf diesem Weg weitergehen ist natürlich die Meditation der Königsweg. Man kann versuchen, in der Stille die Aufmerksamkeit auf die Aufmerksamkeit selbst zu richten und nicht auf die eigenen Empfindungen und Gedanken.

Dadurch ist der Geist weniger fokussiert und die Aufmerksamkeit wandelt sich irgendwann in Gewahrsein, eben in dieses Feld des Geistes oder in den Raum hinter dem Denken oder wie man es auch immer nennen will. Ich war da noch nie für längere Zeit, stelle es mir aber großartig vor.

Man kann üben, dorthin zu kommen, indem man zum Beispiel einen Gegenstand ohne den dazugehörigen Namen wahrnimmt. Ich übe das oft beim Spazieren und habe dann immer das Gefühl, dass die Welt ein bisschen grösser wird, wenn ein Baum nicht mehr ein Baum ist, sondern... Probiere das mal aus, ganz in der Stille. Da ändert sich was. Es ist unglaublich subtil, ein bisschen wie die Schneeflocke.

Die innere Stimme zu fühlen ist eine lebenslange Aufgabe. Es ist ein verkörperter Prozess, man kann sich da nicht hindenken. Die innere Stimme kann sich auch verändern, mein Sankalpa heißt heute zum Beispiel „Finde Kraft in der Stille“ und nicht umgekehrt, wie vor einigen Jahren.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir einen unveränderlichen Wesenskern haben. Ich glaube, es geht eher darum, die innere Stimme immer wieder vom Lärm der Welt zu befreien und von Neuem frei zu legen. Dann können wir auch unsere innere Stärke spüren, was nicht unbedingt heißt, dass wir dann gleich Bäume ausreißen oder unser Leben auf den Kopf stellen müssen. Es kann auch bedeuten, dass wir so gut zu uns schauen, dass wir nicht das Gefühl haben, andere müssten sich ändern. Und manchmal besteht innere Stärke ja auch einfach darin, in schwierigen Momenten innezuhalten und dann einfach weiterzumachen.

WAM steht übrigens nicht für ein Bija-Mantra, sondern für „Wait A Moment“.

Marion Völger

www.silentmoves.blog

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Schildkrötensommer oder der Weg in die Verbundenheit

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